Teil 8: Islands Menschen-hart und unerbittlich? - Ein Abschied
- Restlesstraveller
- 21. Jan. 2018
- 3 Min. Lesezeit

Islands Menschen…wie ticken sie? Als ich nach dem Besuch auf der Nerzfarm von Heitha wissen wollte, wie sie zu dieser Art Arbeit steht, erhielt ich eine ernüchternde Antwort. Auch Heitha hat einmal auf dieser Farm gearbeitet, unter anderem bei der Tötung der Tiere. Betroffen darüber sei sie nicht. Für sie ist es nur Arbeit. Genau, wie wohl für Bäcker Brot backen die Arbeit ist, oder für Lehrer das Unterrichten von Kindern, oder für Verkäufer das Verkaufen. Es ist einfach bloss eine Arbeit, für die sie bezahlt wird. «Diese Nerze sind in diesen Hallen aufgewachsen. Sie kennen nichts anderes als diese Käfige. Es geht ihnen gut. Stell dir vor, alle diese Nerze würden nicht sterben: dann wäre ihr Leben bestimmt nicht mehr so gut wie es jetzt ist. Denn wir kümmern uns gut um sie, das zeigt sich schlussendlich auch in der Qualität der Felle.» Ich stimme Heithas Gedankengängen nicht ganz zu, und doch akzeptiere ich ihre Meinung. Für sie gibt es nicht mehr dazu zu sagen. Es besitzt für die Isländer auch nicht genug Wert, sich darüber Gedanken zu machen. Auch was das Schlachten betrifft. Heitha und ihre Mutter schlachten, weil sie das Fleisch brauchen. Denn wie ich bald erkannte, ging es zumindest im harten Norden Islands ums nackte Überleben. Und um in einem Land unter solch widrigen Lebensbedingungen zu den Überlebenden zu zählen, muss man abgehärtet sein. Mensch und Tier kämpfen mit unfruchtbarem, zerklüftetem Boden, rauem Klima, den kargen, steppenähnlichen, endlosen und unwirtlichen Weiten der Felder der Einsamkeit, der im Winter spärlich ausfallenden Sonnenstunden, der unlieblichen und schroffen Einöde und der Unbarmherzigkeit der Naturgewalten und des Wetters. Man musste sich ein dickes Fell zulegen. Und genau daran haben sich Tier und Mensch gehalten. Wer über kein dickes Fell verfügt, überlebt Island nicht. Man passt sich dem Land und seinen Gegebenheiten an. Viele verfügen über eine sehr nüchterne und pragmatische Weltanschauung. Manchmal sind sie hart und makaber, aber grausam: nein. Die Landbewohner Islands tragen vielleicht einfach noch mehr von der Ursprünglichkeit unserer Vorfahren in sich: dem Jäger. Und doch, manchmal entblössen sie für kurze Zeit ihren weichen Kern. Zum Beispiel, wenn Heitha den überängstlichen Hund, der eigentlich eingeschläfert werden sollte, adoptiert. Oder dann, wenn Berta sich heimlich mit Heu aus dem Schafstall schleicht um dem verirrten Pferd, das seit Tagen um den Hof schleicht, etwas bereit zu legen. Oder wenn Heitha zugibt, traurig zu sein, wenn sie eines ihrer Lieblingstiere schlachtet. Das mag für uns widersprüchlich klingen, aber vielleicht tut sie es deswegen selbst. Damit sie sicherstellen kann, dass ihr Tier auch von ihrer Hand getötet wird. Nur so weiss sie, dass sicher alles so abläuft, wie sie es sich für das Tier wünscht. Und dass das Tier ein schönes Leben hatte.

Ich habe auch bald gelernt, dass Isländer nicht zu den Menschen gehören, die breitwillig ihre Gefühle zur Schau stellen. Es ist ein verschlossenes Volk. Das liegt vielleicht auch an ihrer Geschichte: mir wurde erzählt, dass ihre Grosseltern noch in Steinhütten aufgewachsen waren. Das liegt also noch gar nicht so lange zurück. Dass sie sich noch gut an die ersten Männer aus dem Westen erinnern konnten, in ihren schwarzen Anzügen und bank polierten Schuhen. In Island kannte man damals noch keine Anzüge. Island ist eine Insel weitab vom Festland, und sie ist lange für sich geblieben. Das und die Lebensbedingungen in diesem Land haben wohl dazu geführt, dass die Menschen sich angepasst und verschlossen haben. Es ist sehr schwierig für Ausländer, wirklich einen Draht zum Volk der Isländer zu kriegen. Mehr als einmal blieb ich völlig verdutzt am Mittagstisch sitzen, während alle um mich herum mitten im Gespräch abrupt aufstanden und gegangen sind. Dabei kannte ich Ausdrücke wie «Bless» oder «gæta þess», die signalisierten, dass man an das Ende einer Konversation gelangt war. Doch selten wurden diese Abschiedsformeln auch wirklich angewendet. Man verschwand einfach. Die Isländer mochten es nicht, auf Wiedersehen zu sagen. Oder Tschüss. Denn sie wussten ganz genau, dass man sich nicht Wieder-Sehen würde. Und sie waren nicht die Sorte Mensch, die sich mit Höflichkeiten oder oberflächlichem Geplänkel aufhielten. Jedes Mal, wenn es an der Zeit für mich war, weiterzuziehen, verschwanden alle ohne Ausnahme spurlos. Rauschten eilig zur Tür raus bevor ich ihnen klar machen konnte, dass dies wahrscheinlich das letzte Mal war, dass sie mich sehen würden. Bevor ich ihnen richtig auf Wiedersehen sagen konnte. Und ich weiss, dass es nicht daran liegt, dass sie mich nicht mochten. Im Gegenteil. Die Isländer mögen es einfach nicht, Abschied zu nehmen. Sie mögen keine «Goodbyes», Punkt. Also verzichtet man darauf. Warum nicht? Ich denke dann einfach an Trey Parkers Worte: «Saying goodbye doesn´t mean anything. It´s the time we spent together that matters, not how we left it.» Und das ist für mich genug «Goodbye».


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