Rincon del Mar
- Restlesstraveller
- 23. Nov. 2019
- 8 Min. Lesezeit

Ich wachte früh auf. Alles war noch dunkel, wir hatten bei offenen Schiebetüren geschlafen, und man konnte draussen das Meer sanft rauschen hören. Leise stieg ich die Treppen von meinem Hochbett runter und huschte aus dem Zimmer. Ich entdeckte, dass der Gang zu unserem Zimmer zwei Enden, respektive zwei Anfänge hatte. Auf der einen Seite endete, respektive begann der Gang beim Sandstrand hinaus zum Meer, auf der anderen Seite fand man einen Fluss mit Mangrovenwald vor. Ich legte mich in eine der Hängematten und blickte auf den Fluss hinaus. Man konnte die ersten Fischer auf der anderen Seite der Unterkunft hören, wie sie ihre Boote beluden und hinaus aufs Meer fuhren. Ein einzelnes Kanu glitt langsam über den Fluss, bis es in den Mangroven verschwand. Das langsame Schaukeln lullte mich ein wie ein Baby. Pünktlich um sechs Uhr linste die Sonne über den Mangrovenwald und der neue Tag begann. Man hörte das Krächzen der Vögel, hörte das Plätschern der Fische, die versuchten, potentiellen Jägern zu entkommen. Irgendwann gesellte sich Helen dazu, und wir beobachteten schweigend, wie die Sonne die Welt des Tages für sich erklomm.

Während unseres Aufenthalts in der wunderschönen Dos Aguas Lodge buchten wir unter anderem die Bioluminescence-Tour und die San Bernardo Isla Tour. Dos Aguas arbeitete ausschliesslich mit Dorfbewohnern zusammen. Sie hatten zwei Jahre in der Gemeinschaft mit ihnen gelebt und ihre Kultur und Bräuche kennen gelernt. Gelernt, wie man Häuser baute. Wie man sich die Natur dazu zu Nutze machen könnte. Und im Gegenzug hatten sie sich währenddessen sorgfältig einen Ring aus vertrauenswürdigen Einheimischen aufgebaut, die sie im Umgang mit Touristen selbst geschult hatten. So hatten sie sich eine Kultur des Gebens und Nehmens erschaffen. Und konnten sicher stellen, dass das Geld, welches wir Touristen für eine Tour ausgaben, auch wirklich den Locals zu Gute kam.
Die ganze Sache mit der Bioluminesence ist mittlerweile ja zu einem richtigen Hype mutiert und in aller Munde. Sie stand bei mir auf meiner «must-see» Liste für diese Reise praktisch ganz oben. Ich hatte mich zuvor darüber informiert und herausgefunden, dass es in Panama einen Ort gab, wo eine solche Tour angeboten wurde. Umso freudiger war die Überraschung, als ich erfuhr, dass man auch hier in Rincon dieses Phänomen beobachten konnte. Natürlich buchte ich die Tour ohne zu zögern. Helen schloss sich aufgrund meiner Begeisterung darüber an. Sie wurde enttäuscht. Ich hatte bisher vor allem Bilder dazu gesehen und hatte an die Nordlichter denken müssen. Von der Farbe her zwar blau, aber ähnlich neonfarben und leuchtend. So sah es auf den Fotos aus. Die Realität war eine andere. Wir bestiegen abends ein Boot und sahen uns den Sonnenuntergang an, bevor wir uns in Richtung einer Laguna bewegten, in der die Mikroalgen vorkamen. Es dauerte eine Weile, und wir mussten warten, bis es ganz dunkel geworden war. Das abenteuerlichste an diesem Ausflug war wahrscheinlich der Weg. Denn: es lag eine Sandbank zwischen dem Meer und der Lagune. Die Fischer hatten dicke Holzstämme bereitgelegt, damit sie ihre Boote darüber rollen konnten. Das hiess für uns also, raus aus dem Boot, während die Fischer in dunkelster Nacht mithilfe der Taschenlampenapp diverser Handys ihrer Gäste versuchten, das Boot auf den ersten Holzblock zu hieven. Dann holte einer den nächsten Block, und es wurde geschoben. Wir packten mit an, und ich war dankbar, dass das Ganze nachts stattfand, ohne die Hitze der Sonne. Block für Block arbeiteten wir uns vor, gewannen Meter für Meter, bis das Boot endlich in den Mangrovenkanal gelassen werden konnte. Nun ging es mit Hilfe eines langen Stocks weiter, ohne Motor. Während jemand vorne mit der Taschenlampe den Weg erhellte, «ruderte» der Kapitän hinten. Wie in einer Gondola. Und wir staunten. Mitten im Mangrovenwald war es seltsam still, nur ab und zu hörte man die Geräusche der Tiere, die diesen eigene Ökosystem bewohnten. Ein leichter Schwefelgeruch stieg mir in die Nase. Das musste von den Mangroven kommen. Mangroven sind schon etwas faszinierendes! Sie filtern das Wasser des Meeres und entziehen ihm das Salz, sodass die Kanäle zwischen den Mangroven zu Süsswasserflüssen werden. Was dazu führt, dass der Mangrovenfluss ganz andere Bewohner beherbergt als das Meer. Eine Vielfalt an Süsswasserfischen, und das Süsswasserkrokodil nicht zu vergessen! Und wir sollten hier in der Lagune baden. Toll. Grossartige Idee.
Nach knappen zehn Minuten im Mangrovenwald sahen wir eine Lichtung vor uns. Geräuschlos glitten wir auf den kleinen, pechschwarzen See vor uns. Die Nacht war perfekt für unsere Unternehmung, völlig finster, mondlos. Die Sterne leuchteten hell über uns am Himmelszelt, mitten in der Natur, begleitet von einer Symphonie aus animalischen Klängen. Es war beruhigend. Doch der Gedanke, in diesen schwarzen Pool zu springen, ohne zu sehen, was unter, neben, hinter oder vor mir war, behagte mir nicht besonders. Im Gegenteil. Ich bevorzugte die Option Boot. Vorsichtig berührte ich das Wasser. Ich hatte leuchtendes blau erwartet, stattdessen sprühten goldene Funken aus meinen Fingerspitzen. Das hatte also Dania damit gemeint, als sie gesagt hatte, es sei wie in Harry Potter. Ich tauchte meine ganze Hand unter Wasser und wedelte damit wie wild herum. Tausend flackernde Lichter glühten um meine Hand herum. Während ich gebannt und wie ein kleines Kind die Funken sprühen liess, schien Helen bereits gelangweilt. «Das ist alles?», maulte sie. Ich ignorierte es. Und als es hiess, dass man nun ins Wasser springen konnte, war ich die erste, die im lauwarmen Nass landete. Ich strampelte wie wild, und wurde in einen leichten, goldenen Schimmer getaucht. Es war cool, es war nicht wie erwartet, aber es war cool. Schlussendlich jedoch, rückblickend betrachtet, würde ich den Preis dafür nicht mehr bezahlen. Denn es gibt andere Orte, wie zum Beispiel Holbox in Mexico, wo man dieses Phänomen gratis von Land aus beobachten und erleben kann. Zudem habe ich von anderen Reisenden erfahren, dass es an anderen Orten stärker anzutreffen sei. Einige berichteten sogar, dass es bei ihnen blau geleuchtet hätte. Ich für meinen Teil kann euch nur über meine Erfahrungen berichten. Und an den Orten, an denen ich war, gab es die Bioluminescence nur in leicht Gold. Keine neonblauen Ströme, sondern mehr einfach goldene Funken. Wie kleine Sterne. Es ist hübsch, aber bezahlt nicht zu viel dafür! Man kann es tatsächlich an ziemlich vielen Orten beobachten.

Die zweite Tour war dafür sehr lohnenswert. Wir waren eine kleine Gruppe von vier Leuten (Ein Pärchen, Helen und ich) mit unserem Guide, einem lokalen Fischer. Er fuhr uns hinaus aufs Meer, und da Rincon an der Küste zu den wunderschönen San Bernardo Islands liegt, kriegte ich so doch noch die Chance, das berühmte, vollends ausgebuchte Casa en el Agua zumindest von Aussen zu sehen! Natürlich war das am Ende des Tages nur noch Nebensache. Wir hielten an einer Stelle zwischen zwei der Inseln zum Schnorcheln. Ich war positiv überrascht, das Riff war reich bewohnt und lebendig. Danach gings weiter, vorbei an der am dichtesten besiedelte Insel der Welt (Santa Cruz del Islote) nach Mucura. Dort hatten wir 20 Minuten Freizeit, in der wir die Insel erkunden durften. Sie war das reinste Muschelparadies! Die anderen hatten bald aufgegeben, auf mich zu warten, und zogen ungeduldig davon. Ich jedoch blieb zurück am Strand, wie hypnotisiert. Riesige Muscheln lagen aufgereiht, aufeinander gestapelt wie Abfall am Strand. Es mussten abertausende sein! Ich konnte meinen Blick nicht davon abwenden, und verfiel in eine Art Trance. Wie besessen stolperte ich über die Muscheln. Ich hob einige hoch, bestaunte sie, bevor ich die Nächste fand und bald mit mehr als zehn Muscheln in der Hand herumrannte. Es waren so viele! Wo sollte ich anfangen? Mir wurde ganz wirr im Kopf. Die meisten Muscheln waren älter, verkalkt oder zerbrochen, aber nichts desto trotz hatte ich noch nie so viele grosse Muscheln auf einem Haufen gesehen. Zwei einheimische Mädchen unterbrachen ihr Spiel und beobachteten mich amüsiert. In meinem Wahn fiel es mir schwer, mich für eine zu entscheiden. Kaum hatte ich eine aufgehoben, fiel mein Blick auf eine nächste. Es waren so viele, und so viele grosse, doch leider hatte ich ja ein bereits 17 Kilo schweres Gepäckstück, das in der Unterkunft auf mich wartete. Also kaum mehr Platz, um es nun noch mit Muscheln aufzufüllen. Aber eine musste drin liegen! Ich fand eine besonders grosse, spezielle Muschel. Aufgeregt rannte ich zu den Mädchen und fragte sie auf Spanisch, ob sie ein Foto machen konnten. Sie verneinten. Ich war etwas vor den Kopf gestossen, vermutete jedoch, dass sie mich nicht richtig verstanden hatte. Also wiederholte ich, diesmal mit Hilfe von Zeichen, ob SIE ein Foto von MIR mit den Muscheln machen konnten. Sie blickten sich etwas überrascht an, lächelten dann aber und meinten, klar. Sie hatten erst gedacht, ich wolle von ihnen ein Foto machen. Pf. Also posierte ich stolz wie eine Mutter mit meinen drei Babys auf dem Arm, bloss dass meine Babys Muscheln waren, und mein ganzer Stolz ihnen galt. Vor lauter Muscheln hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren, und als ich endlich wieder zu mir kam, bemerkte ich, dass von meiner Gruppe jegliche Spur fehlte. Sogar Helen war verschwunden, unauffindbar. Ich hatte keine Uhr dabei, aber ich musste davon ausgehen, dass die anderen bereits zurück beim Boot waren. Also entschied ich mich schweren Herzens für eine einzige der Muscheln, während ich die anderen sorgfältig zurück auf die Mauer legte. Dann rannte ich den ganzen Weg zurück zum Strand, wo die anderen bereits auf dem Wasser im Boot trieben. Anhand ihrer Blicke konnte ich erkennen, dass ich zu spät war. Mit hochrotem Kopf murmelte ich eine Entschuldigung und verstaute meine Muschel schnell in meinem Drybag.

Der nächste Stop war auf der Insel Titipan. Wir vertäuten das Boot am Strand und wurden sogleich von Inselbewohnern begrüsst, die uns etwas andrehen oder uns in ihr Restaurant schleppen wollten. Die ersten 50 Meter der Strandpromenade bestanden ausschliesslich aus Bars und Restaurants, wovon aber weniger als die Hälfte geöffnet waren. Wir wollten dem ganzen Trubel aus dem Weg gehen, und so liefen Helen und ich ein paar Meter weiter, wo sich uns bald ein einsamer, weisser Strand eröffnete. Leider wurde hier nach der letzten Party nicht aufgeräumt. Kokosnüsse mit farbenfrohen Strohhalmen lagen rum, sowie Plastikflaschen und Verpackungen. Tische und Stühle aus Plastik lagen achtlos verstreut herum, und ich begann erstmal mit einer kurzen Intensiv-Räumungs-Kur. Ich sammelte die Plastikflaschen unter den wachsamen Augen einiger Einheimischer ein und wackelte damit vor ihren Augen zum Mülleimer, wo ich sie demonstrativ fallen liess. Achtsamer Tourist, ich war! Danach ging ich zurück zu unserem Platz. Helen hatte sich unterdessen zwei Plastikstühle und einen Tisch geschnappt, und wir machten es uns gemütlich. Plantschten eine Weile, schossen atemberaubende Fotos von dem schneeweissen Sand und dem kristallklaren Wasser. Ein kleines Paradies, welches anscheinend jedoch bereits dem Tourismus zum Opfer gefallen war.

Auf dem Rückweg passierten wir Casa en el agua, und ich war schockiert zu sehen, dass das Hostel tatsächlich, wortwörtlich, überfüllt war. Es stand mitten im Meer, ziemlich weit entfernt von der nächsten Insel, verfügte allerdings über eine schmale Plattform, auf der man Zeit «draussen» verbringen konnte. Ich glaube, es war kein einziger Quadratmeter mehr frei auf dieser Plattform. Alle Liegestühle und jede Hängematte war besetzt, während einige Hostelgäste in aufblasbaren Donut-Gummiringen à la Homer Simpson im Wasser trieben. Passend dazu ein alkoholisches Getränk, vorzugsweise Bier à la Homer Simpson, tambien. Laute Musik dröhnte aus Lautsprechern, während verzweifelte Männer um die Gunst der leicht bekleideten und schwer beschwipsten Frauen buhlten. Es war der reinste Alptraum. Ich blickte in Helens vor Horror völlig geweiteten Augen und konnte erkennen, dass sie genau dasselbe dachte wie ich: Gottseidank sind wir nicht dort gelandet! Ein absoluter Partyort, der nur für Touristen gemacht wurde und absolut nicht im Geringsten authentisch ist. Wer sich als Backpacker also gerne eins hinter die Birne (und betrunkene Frauen, zusammengepfercht auf engstem Raum) knallt: dort werdet ihr pure Erfüllung finden.

Nebst diesen zwei Touren ist Rincon aber auch sonst sehr sehenswert. Um die Mangroven auf einem Pferderücken, oder in einem Kanu zu durchforsten zum Beispiel. Zudem war Rincon noch ein Ort im Norden Kolumbiens, der noch nicht von Touristenmassen überrannt worden war. Der Ort war noch immer sehr traditionell und authentisch mit seinen typischen Bambus und Kakteen-Holz-Hütten direkt am Strand, und seinen Sandstrassen. Helen und ich wollten vor allem ein paar erholsame Tage am Meer verbringen, ohne Stress und ohne Plan. Einfach nur ausruhen von den Strapazen zu Hause. Ausruhen von der Arbeit. Runterkommen. Ich glaube, das haben wir geschafft, und nach vier Tagen Erholung und Aufladung unserer Batterien waren wir bereit, weiter zu ziehen und diesen magischen Ort mit seinen freundlichen Einwohnern zu verlassen.
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