Teil 4: Die Nerzfarm und Islands dunkle Seite
- Restlesstraveller
- 13. Jan. 2018
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 20. Jan. 2018

Ein unscheinbares Haus, mitten im Dorf. Ein Ort, den Touristen bei ihrem Besuch in Island wohl eher meiden. Es ist der Arbeitsplatz von Heithas Mutter. Wir begleiten sie heute. Ich weiss nicht was mich erwarten wird, und mir ist mulmig zu Mute. Als unser Wagen vor der Farm zum Stehen kommt, zögere ich. Das Haus sieht nicht aus, als würden hier tagtäglich tausende Tiere geschlachtet werden. Es ist in einem warmen Grün gestrichen und besitzt ein rotes Dach. Von aussen wirkt es eher wie eine nette Farm wie wir sie betreiben. Doch eigentlich weiss ich um ihr verstecktes Inneres. Halte ich das aus? Will ich das wirklich sehen? Ich bin mir nicht sicher. Doch viel Zeit zum Überlegen bleibt mir nicht, denn Kim und Heitha sind bereits ausgestiegen und marschieren entschlossen auf das Gebäude zu. Ich lege meine Hand auf den Türgriff, atme tief durch und sage mir, dass es vielleicht gar nicht so schlimm sein wird. Vielleicht züchten sie sie hier nur, ohne sie danach zu verarbeiten. Der Mensch ist schon immer gut darin gewesen, das Offensichtliche zu verdrängen. Doch mit diesem Gedanken finde ich die Kraft, auszusteigen und den anderen zu folgen.

Meine Hoffnung wird bereits im ersten Raum den wir betreten zerschmettert. Der ganze Raum ist gefüllt mit Nerzfellen, die den Tieren abgezogen und dann auf Karton gespannt wurden. Es sind so viele! Ich kann nicht anders, als schockiert sein. Das müssten mehrere hundert Nerze sein! Und dies allein in diesem klitzekleinen Eingangsraum! Hier werden sie gelagert, aussortiert und zum Versand vorbereitet. In einer Ecke stehen um die fünfzig Pakete, alle gefüllt mit weiteren Fellen. Die neuen, frischen Felle sind zum Trocknen auf Stöcken aufgespannt und aufgestellt, die anderen stapeln sich auf einem Gestell. Dahinter an der Wand stehen tonnenweise Pokale und Qualitätsauszeichnungen, die die Farm erhalten hat. Mir wird übel. Den vorherrschenden Geruch in diesem Gebäude habe ich noch nie zuvor gerochen. Es riecht einerseits leicht süsslich nach Nerzen, andererseits mischt sich der Gestank von Blut und Tod darunter. Ich zwinge mich, neutral zu bleiben. Mir alles genau anzusehen, mit dem Interesse eines Unwissenden, mit der Absicht, zu einem Wissenden zu werden. Ohne Gefühle, ohne Mitleid. Persönliche Gefühle verhindern eine objektive Berichterstattung. Heitha packt eines der gestapelten Felle und legt es vor uns auf den Tisch. Man kann die Form des Tieres noch genau erkennen, hat man das Fell vom Kopf bis zum Schwanz ganz abgezogen. Mein Magen rumort, und ich versuche, weniger einzuatmen, um diesen Geruch nicht mehr riechen zu müssen. Sanft streicht sie über das Fell und erklärt uns, woran man die gute Qualität erkennt. Sie streckt es uns hin, damit wir es auch testen können. Zitternd strecke ich die Hand aus, und spreche im Kopf ein leises Gebet für dieses Tier, das für die menschliche Gier nach Luxusgütern sterben musste. Das Fell ist unglaublich weich. Und ich meine, wirklich unglaublich weich! Es weckt das Bedürfnis, sich da für immer und ewig reinkuscheln zu wollen. Dann führt Heitha uns weiter hinein in den Stall der Tiere. Wir durchqueren eine Halle, von denen nur noch die leeren Käfige von den Geistern seiner ehemaligen Bewohnern zeugt. Man sieht, dass die Käfige bis vor Kurzem noch bewohnt gewesen waren, doch mittlerweile waren alle Tiere darin getötet worden. Gestorben, damit wir Menschen ihr Fell tragen können. Ich würge die erneut aufkommende Übelkeit hinunter. Ich weiss, dass mich dieser Geruch noch tagelang verfolgen wird. Wir Menschen halten uns für so erhaben, dass wir über Leben und Tod jener bestimmen, die sich nicht wehren können. Solange es unserem Überleben dient, kann ich diese Macht akzeptieren. Der Mensch hat schon immer Tiere gejagt um zu überleben. Er ist das gefährlichste Tier überhaupt und steht in der Nahrungskette ganz oben. Er ist allen anderen überlegen. Nichts desto trotz zerstört er so vieles aus den falschen Gründen. Schafft Krieg und mordet im Namen von etwas, was auf gut Deutsch «nicht verhebt». Denn das hier, nun, das ist nicht nötig. Wir könnten ohne Probleme ohne Nerzmäntel leben. Wir brauchen kein Nerzfell. Nicht in einem Zeitalter, wo künstliche, synthetische Stoffe uns genauso warm halten können wie Tierfelle. Und ihnen nicht nur zum Verwechseln ähnlich sehen, sondern sich auch genauso weich anfühlen. Ich frage Heitha, wohin all diese Felle verschifft werden. «Die werden in die ganze Welt verschifft: Deutschland, Dänemark, England, China… unsere Felle sind von so guter Qualität dass wir sie überall hin verkaufen können», antwortet sie, nicht ohne Stolz. Wir haben mittlerweile die Geisterhalle durchquert, und sie öffnet eine zweite. Darin befindet sich noch Leben. Die Käfige sind klein, und jeder beinhaltet einen Nager. Es müssen wohl an die tausend hier drin sein. Ich gehe näher an einen Käfig ran. Die Tiere sind in Gefangenschaft geboren und aufgewachsen, und daher an die Nähe des Menschen gewöhnt. Sie sind wahnsinnig neugierig und kennen so gut wie keine Scheu, und so werde ich bei jedem Käfig von seinem aufgeweckten Insassen begrüsst. Sie klettern am Gitter hoch und blicken mich aus ihren kleinen, niedlichen Äuglein an. Schnuppern. Es bricht mir das Herz, zu wissen, dass in ein paar Wochen keiner dieser Nager mehr am Leben sein wird. Braune, weisse, schwarze…Jeder, der schon einmal einen lebenden Nerz gesehen hat weiss, wie süss die kleinen Kerlchen sind. Sie wecken in mir das Bedürfnis, meinen Finger in ihren Käfig zu stecken und sie anzustupsen. Natürlich tue ich das nicht, denn ich bin mir ihrer kleinen, spitzen Zähnchen durchaus bewusst. Einen Nerz für sein Fell zu töten… nun, ich wäre dazu nicht im Stande. Ihn lebend aus diesem Käfig zu nehmen, ein Tier, das sich vertrauensvoll in deine Arme begibt, das hier mit dir aufgewachsen ist. Es zu nehmen, und dann in einen Vergaser zu stecken, bewusst darum, was ihm bevor stand, während das Tierchen ahnungslos in diese Truhe läuft, nicht wissend, dass es sein Tod bedeutet. Zuzuschauen, abzuwarten dass das Leben weicht. Danach die Truhe zu öffnen, um festzustellen, dass das Licht in den Augen des einst so lebendigen Kerlchens erloschen ist und es dich mit starrem Blick anschaut. Das tote Tier zu nehmen, es aufzuschlitzen und die Innereien zu entfernen, wegzuschmeissen, bis nur noch das kostbare Gut vorhanden ist, um das es schlussendlich bei alldem geht: das Nerzfell. Das weichste Fell, das ich je gestreichelt habe.

Nun, der Vorteil ist ja: ich muss es gar nicht selbst tun. Es gibt andere, die das für mich tun. Ich muss niemals davon erfahren. Ich kann wegsehen, wenn dazu Bilder von Tieraktivisten im Internet auftauchen. Ich kann den Mantel kaufen, und seine Herkunft verdrängen. Denn jeder weiss theoretisch, dass Tiere für diese Mäntel sterben müssen. Aber solange man keine Bilder im Kopf hat, wie genau das vor sich geht, glaube ich, können die meisten Menschen damit leben. Ein Bild allerdings geht tiefer, es brennt sich in dein Unterbewusst-sein ein und kann dich sogar nachts noch einholen. Doch solange man es nicht mit den eigenen Augen sieht, hat man die Möglichkeit, die Wahrheit aus seinen Gedanken zu streichen. Kühle Distanz zu bewahren. Verdrängen. Wie es auch die Isländer tun. Ich lebe nun seit bald einem Monat unter Isländern, und das war eines der ersten Dinge, die mir an ihnen aufgefallen ist. Sie wirken auf den ersten Blick kühl, distanziert und hart. Manchmal sogar etwas herzlos und grausam. Ich lebe auf einem Hof, auf dem die eigenen Tiere regelmässig geschlachtet werden. Von eigener Hand. Kurz bevor ich auf dem Hof ankam, und ein Tag bevor ich den Hof verliess wurden solche Schlachtungen durchgeführt. Drei Schafe und vier Fohlen. Sie wurden erst hinters Haus transportiert, wo sie dann erschossen wurden. Es folgte die schmutzige Arbeit mit sehr viel Blut. Einen Tag später landeten die Köpfe der Schafe auf den Tellern meiner Gastfamilie, und das Fleisch der Fohlen wurde an Freunde und Verwandte verteilt. Die unbrauchbaren Überreste werden auf den Misthaufen geworfen, und die Innereien an die Hunde verfüttert. Die Isländer machen in dem Sinn eigentlich das genaue Gegenteil davon, was Pelzträger tun: sie nehmen die Sache selber in die Hand. Sie schauen nicht weg. Sie versuchen alles zu verwerten. Sie schauen hin, und töten trotzdem. Und so musste ich mir unweigerlich die Frage stellen: sind die Isländer kaltblütige Mörder?


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