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Teil 3: Harte Frauen

  • Autorenbild: Restlesstraveller
    Restlesstraveller
  • 13. Jan. 2018
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 29. Sept. 2018

Mir ist es immer wichtig, beim Bereisen das Land und seine Leute kennen zu lernen. Und zwar auch die Seiten, die sich hinter der perfekten Fassade befinden, die man den Touristen als Realität verkaufen möchte. Ich möchte verstehen, wie die Menschen leben, was sie bewegt und wie sie denken. Oftmals beinhaltet das auch, mit den dunklen Seiten eines Landes konfrontiert zu werden. Die Seiten, an die ein Tourist oftmals nicht rankommt. Mit dem Risiko, desillusioniert zu werden. Denn nur wer beide Seiten der Medaille gesehen hat, kann ein Urteil fällen. Ich habe sie gesehen, beide Seiten. Und ich muss gestehen; es hat mich überrascht. Ich habe mehr mit Island gemeinsam, als ich auf den ersten Blick dachte.


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Wenn Touristen herkommen, dann besuchen sie die zahlreichen Wasserfälle, die Island zu bieten hat. Sie besichtigen die schwarzen Sandstrände von Vík oder sehen sich den grossen Geysir Strokkur an. Sie mieten Autos um verlassene Schneewüsten, hügelige Vulkanöden oder dampfende Mondlandschaften zu durchqueren. Sie buchen Bootstouren für Walbeobachtungen oder Reitausflüge, reservieren sich Raftingtouren oder beteiligen sich an geführten Gletscherwanderungen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, es gibt für alles und jeden ein massgeschneidertes Abenteuer…wenn man dann will. Ich habe mich für das Abenteuer Farmstay entschieden. Denn dies ermöglichte mir, bei Einheimischen zu wohnen und an ihrem Alltag teilnehmen zu können. Und als ob es hier das normalste der Welt sei, bin ich bei zwei Frauen gelandet. Eine Mutter und ihre Tochter. Kein Mann im Haus. Erst nach einigen Wochen erfuhr ich, dass der Vater und die Mutter sich irgendwann getrennt haben. Heitha erzählte mir das, als sie mir gestand, dass die meisten Isländer nicht heirateten, selbst wenn sie Kinder zusammen kriegten. Sie sah das als durchaus positiv, hatte so ihre Mutter nämlich beim Auseinandergehen die Farm behalten können. «Wären sie verheiratet gewesen, hätte sie einen Teil an meinen Vater abtreten müssen», meinte sie ernst. Ich bin noch nie zwei Frauen wie ihnen begegnet. Während Farmer bei uns ein Vollzeitjob ist, müssen die beiden den Hof nebenbei führen. Die Schafwirtschaft bringt zu wenig Erträge, sodass sie tagsüber arbeiten gehen müssen. Und sie sind leider nicht die Einzigen. Es existieren ungefähr 6500 Farmen auf Island, die die Inselbewohner mit Gemüse, Milch, und Fleisch (vor allem Lamm) versorgen. Viele dieser Farmer müssen allerdings nebenbei einer anderen, bezahlten Arbeit nachgehen. Da kommen wir ins Spiel. Heitha und ihre Mutter können den Hof wohl nur dank dieser Mithilfe von Volontären und dem Zusammenhalt der Gemeinschaft in dieser Gegend aufrecht erhalten. Aber auf Männer sind sie nicht angewiesen. Jegliche Arbeit, die bei uns als Männerarbeit gilt, wird von den zweien völlig selbstverständlich selbst erledigt. Pflügen, Schnee schaufeln, Traktor fahren, Traktor reparieren, hämmern, Tiere schlachten, Dinge im Stall reparieren: sie können alles. Ihr handwerkliches Geschick haben sie dabei mehr als einmal unter Beweis gestellt. Wie auch ihren eisernen Willen. Ein Vorfall ist mir dabei besonders im Gedächtnis haften geblieben: Heitha mit Zigarette im Mund, verschwitzt und dreckig, aber siegreich. Zu ihren Füssen ein sturer Bock. Sie hat ihm die Stirn geboten. Er wollte partout nicht aus seinem Gehege raus und stellte sich quer. Daraufhin packte sie ihn ohne zu Zögern an seinen mächtigen Hörnern und riss ihn mit aller Kraft fort. Zigarette noch immer im Mund. Ich lächelte beim Anblick, weil es einfach total cool aussah. Doch der Bock machte seiner Art alle Ehre und blieb stur stehen. Sie gab nicht auf und zerrte weiter. Als sie sich kurz aufrichtete, um kurz durchzuatmen, rammte er sie hinterrücks. Heitha fiel kopfvoran in den Matsch. Blitzschnell und ausser sich vor Wut sprang sie auf, schrie den Bock an und kickte auf ihn ein. Zigarette noch immer im Mund. Ich erfuhr später, dass sie sich dabei den Zeh gebrochen hatte. Und auf eine irgendwie verstörende Art und Weise bewunderte ich sie in diesem Augenblick für ihre Sturheit, mit der sie dem Bock begegnete und ihn schlussendlich besiegte. Denn am Schluss war er es, der mit gesenktem Kopf ins andere Gehege trottete. Sie allerdings humpelte trotz Schmutz im Gesicht und gebrochenem Zeh erhobenen Hauptes zurück ins Haus.


Langweilig wurde uns nie. Ich habe die Schafe beim Versuch, sie auf eine andere Weide zu treiben, aus tiefster Lunge angebrüllt. Dabei habe ich gutturale Laute produziert, die ich noch nie zuvor von mir vernommen und mich zutiefst erschüttert haben. Ich wurde von einem flüchtenden Schaf getackelt, habe mit ihnen gerungen, um sie zum Scheren zu bewegen bis ich überall blau war, bin über die Unebenen der Weiden hinter ihnen her gestolpert um sie einzufangen, habe ein ausgebüxtes Schaf im Schoss, auf der Schaufel eines Traktors sitzend transportiert, habe die Pferde mit einem Traktor eingetrieben und mich flüchtenden, sich in vollem Galopp befindenden Pferden in den Weg gestellt. Ich habe Kälbchen die Flasche gegeben und Kühe gemolken. Ich habe das erste Mal sauer eingelegtes Walfett, Fohlen und Leberpaste gegessen und mich mit einer überaus anhänglichen Katze und einem aufmerksamkeitsheischenden Schaf namens «Big Mama» angefreundet. Und das alles in zwei Wochen. Das waren wohl die schönen Seiten der Medaille.

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About Me

I am a 29 year old traveller. While I also love to Photograph and write down my thoughts just as plain and simple as they are, I decided to share this with who ever might be interested in reading about my adventures. Some might be in german, other in english, because I love to write in both languages. All that is left to say now: I hope you´ll enjoy:)

 

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