top of page

Deshnoke - A temple ruled by rats

  • Autorenbild: Restlesstraveller
    Restlesstraveller
  • 14. Apr. 2018
  • 13 Min. Lesezeit

Vielleicht habt ihr davon schon im Fernsehen gesehen oder von Freunden gehört. Mein Bruder hat auf alle Fälle nach meinen detaillierten Erfahrungsberichten über den Rattentempel von Deshnoke ein Video auf 9GAG gefunden, welches ziemlich realitätsgetreu meine Erlebnisse im Tempel wiederspiegelt. Wer allerdings gerne von mir persönlich lesen will, wie ich den Besuch erlebt habe, ist herzlich eingeladen, sich nachfolgenden Text zu Gemüte zu führen. Aber seid gewarnt: er ist nichts für zart Besaitete!

ree

Ich hatte meine Gastfamilie über Workaway.info gefunden. Dort wurde am Rande erwähnt, dass der Gastvater und somit mein Gastgeber nebst seinen anderen Beschäftigungen gleichzeitig der Priester im Dorf war. Ich konnte mir darunter nicht viel vorstellen, und da ich mich vorgängig nicht über das Dorf informiert hatte, kam ich völlig ahnungslos in Deshnoke an. Ich wurde abends um halb zwölf von meinem Gastvater und dessen Sohn am Bahnhof erwartet: Der Zug hatte zwanzig Minuten Verspätung, was für indische Verhältnisse sogar recht sportlich war. Noch an jenem Abend erfuhr ich von Babu, meinem Gastvater, dass er nicht ein ganz normaler Priester eines ganz normalen Tempels war, sondern der Priester des hier ansässigen Rattentempels. Der Begriff «Rattentempel» sagte mir durchaus was, hatte ich doch dazu einmal eine kurze Info in meinem Reiseführer überflogen bei meinen Vorbereitungen. Durch Zufall war ich tatsächlich hier gelandet und erfuhr, dass der Tempel nicht nur von vielen ausländischen Touristen, sondern vor allem von vielen Hindus aus ganz Indien besucht wurde. Dass sich dahinter eine riesige, sagenumwobene Geschichte versteckte, war mir allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst.


ree
Ganesha, beliebter Gott mit Elefantenkopf und Sohn Shivas, reitend auf einer Ratte

Im Profil von Babu steht ausserdem, dass er der Autor eines Buches über den Tempel ist. Ich nahm das nicht wirklich ernst, konnte ich mir darunter einfach wirklich nichts vorstellen. Am nächsten Tag wurde mir sein Buch auf dem Silbertablett serviert. Wortwörtlich, bloss dass es anstatt Silber Plastik war. Während meiner Pause (ich war in der Hausarbeit schon voll eingespannt) nahm ich mir dreissig Minuten Zeit (und das wurde natürlich breitwillig gewährt, schliesslich galt mein Interesse ja seinem Werk, worauf er sichtlich stolz war), um sein Buch mit den vielen alten aber sehr anschaulichen und schönen Illustrationen durchzulesen. Das Buch packte mich ab der ersten Seite. Je mehr ich las, desto fesselnder fand ich den Inhalt. Dazu muss ich erwähnen, ich liebe Geschichten aus anderen Kulturen! Egal ob es sich dabei um wahre Begebenheiten, Mythen oder Sagen handelt. Sie stellen für mich Brücken für ein tieferes Verständnis um andere Kulturen und Religionen dar, weil sie aufzeigen, woran die Menschen glauben. Die Geschichte drehte sich um die ortsansässige Göttin Karni Mata, welche als Inkarnation am 20. September im Jahre 1387 in der Nähe von Deshnoke nach 21 (statt 9) Monaten Schwangerschaft das Licht der Welt erblickte. Man nannte das Mädchen Riddhu, doch nachdem Riddhu die darauffolgenden Jahre damit verbrachte, Wunder zu vollbringen, nannte man sie ab da Karni, was «die Eine, die Dinge in Bewegung bringt» bedeutet. Um einige ihrer glorreichen Wundertaten zu benennen: Sie besiegte in Löwengestalt einen bösen König und frass ihn auf, sie erweckte ein tot geborenes Kalb zu neuem Leben und brachte in einer Dürrezeit Wasser in Form von Regen über ihr heiliges Land. Sie wurde von vielen verehrt aber auch gefürchtet. Trotzdem versuchte sie, ein normales Leben zu führen, und heiratete. Kriegte Kinder. Als ihr jüngster Sohn Lakhan eines Tages beim Schwimmen in einem See ertrank, war Karni Mata untröstlich. Sie stattete dem Gott der Unterwelt, Dharmraj, einen Besuch ab. Er war verantwortlich für die Verstorbenen und wählte das neue Leben für sie aus. Auch Hindus glauben wie Buddhisten an Samsara, den ewigen Zyklus der Wiedergeburt. Karni Mata verlangte von Dharmraj, dass er ihren Sohn als Ratte ins neue Leben schicken sollte. Ratten gelten in Indien als heilig, weil der berühmte und sehr beliebte Gott Ganesha (der mit dem Elefantenkopf, Sohn Shivas) sie als Reittier benutzt. Ausserdem brachte Karni Mata Dharmraj dazu, fortan jedem aus ihrer Familie nach dem Tod die Wiedergeburt als Ratte in ihrem Tempel in Deshnoke zu gewähren.

ree
Gottheit Karni Mata und ihre Kabas

Und so geschah es. Seit jeher werden alle aus der nachfolgenden Familie Karni Matas im Tempel als Ratten wiedergeboren. Was ich anhand des Buches erfuhr war, dass auch Babu als direkter Nachfahre der Gottheit galt. Wie sich herausstellte, waren das allerdings viele aus dem Dorf. Insgesamt sollen es über sechzig sein. Die alle nebenbei auch als Priester des Tempels fungieren. Da sie die Aufgaben untereinander aufgeteilt haben, muss jede der Familien einmal alle sechs Jahre für drei Monate in den Tempel einziehen und sich während dieser Zeit um die Ratten und den Tempel kümmern. Man isst dort, man schläft dort, man lebt dort. Mit den Ratten, die natürlich für Babu als seine Familie zählen. Er glaubt fest daran, dass die Ratten in dem Tempel seine Grosseltern und Vorfahren sind. Daher sorgt man sich um sie. Man füttert sie und stellt ihnen genug Wasser zur Verfügung, und es ist eine Ehre für die Anhänger Karni Matas, das angeknabberte Futter der Ratten zu essen. Auch, das Wasser oder die Milch aus den Schalen der Ratten zu trinken, gilt als heilig und ist ein tägliches Ritual. Wer jetzt glaubt, das sei alles verrückt und aus hygienischer Sicht eine absolute Katastrophe (man läuft beim Besuch übrigens auch barfuss über haufenweise Rattenkacke), der mag zwar Recht haben, dennoch fanden die Menschen hier immer wieder Zuflucht, als im restlichen Indien Rattenplagen herrschten. Während an anderen Orten in Indien die Leute von der Seuche dahin gerafft wurden, gab es in Deshnoke nie ein solches Problem. Im Gegenteil. Die Bewohner Deshnokes sind überzeugt, dass die Ratten und somit auch Karni Mata ihr Dorf beschützt. Vor allem Übel, sei es in Form von Krankheiten oder den Pakistani, die nur wenige Kilometer entfernt hinter der Grenze das letzte Mal am 11. Januar im Jahre 2002 einen Angriff mit Bomben gestartet haben. Wie durch ein Wunder wurde Deshnoke und das naheliegende Bikaner grösstenteils verschont, trotz der Nähe zur Grenze.

ree
lokaler Rattentempel

Dies ist so, weil die Ratten im Tempel keine normalen Ratten sind, so die Anhänger. Man nennt sie Kabas, was übersetzt so viel wie «Kinder», also die Kinder der Gottheit Karni Mata bedeutet. Wenn ein Kaba stirbt, so erzählen sich die Gläubigen, dann entsteht weder schlechter Duft noch Krankheiten. Man entfernt die Kadaver auch nicht aus dem Tempel. Sie vertrocknen, und verschwinden später von selbst. Nandini sagte mir, dass das so sei, weil die anderen Ratten ihre toten Artgenossen auffressen. Eine für mich etwas makabere Angelegenheit unter Familienmitglieder, aber der Glaube dieser Menschen an ihre Kabas und die Gottheit Karni Mata ist unerschütterlich. Ich für mich kann das allerdings nicht bestätigen. Beim Betreten des Tempels schlug mir sogleich ein starker, schwerer Geruch in die Nase, den ich definitiv als Gestank bezeichnen würde. Er erinnerte mich an eine Mischung aus nassem Hund und Vogelkacke. Gepaart mit einem etwas stechenderen Geruch, den ich nicht benennen kann. Aber von vorne. Wir besuchten als erstes den Tempel, der unter Touristen so gut wie unbekannt war, und nur den Dorfbewohnern als Gebetsstätte diente. So waren wir die einzigen Touristen unter Einheimischen, und wurden dementsprechend auch unverhohlen angeglotzt. Vor dem Eingang wurden die Schuhe ausgezogen. Dies war bei jedem Tempelbesuch üblich. Nur, dass dies hier kein normaler Tempel war. Eigentlich war es ein wunderschöner Tempel, gefertigt aus edlem, weissem Marmor. Doch schon von Weitem konnte man erkennen, dass er von Rattenexkrementen und Taubenscheisse übersäht war. Ich schluckte die aufsteigende Übelkeit runter. Kani, meine französische Leidensgenossin, zögerte wie ich. Schon vom Eingang her sah man Ratten über den Boden huschen, wie schwarze, haarige Putzlappen rasten sie blitzschnell zwischen den menschlichen Beinen hindurch. Anscheinend empfanden die keine Scheu gegenüber den Menschen. Klar, waren ursprünglich ja auch mal Menschen gewesen… Aber mir war das nicht sonderlich geheuer. Ich wollte nicht annähernd in die Nähe eines solchen Biests kommen. Wer weiss, was die mit meinen nackten Füssen anstellen würden. Nur schon bei der Vorstellung stellten sich meine Nackenhaare auf und mich durchfuhr ein Schauer.

ree
Nette Begrüssung einer Tempelbewohnerin

Nachdem wir fünf Minuten vor dem Tor Mut gesammelt hatten, wagte ich den ersten Schritt. Und wurde sogleich mit einem sanften «Platsch» auf meiner Schulter belohnt. Ich wusste augenblicklich, was geschehen war. Ich verdrehte die Augen und mir war nach Heulen zu Mute. «Kani!», rief ich meiner Leidensgenossin jammernd zu und zeigte auf mein rechtes Schulterblatt. Auf dem farbigen Schal, den mir Nandini für den Tempelbesuch geliehen hatte, prangte ein riesiger Taubenschiss. Ich war genervt, doch Kani lachte genüsslich und schoss ein Beweisfoto. Ich redete mir ein, dass das Glück bringen musste, beim Betreten eines Rattentempels von einer Taube angeschissen zu werden. Nun gut, jetzt war ich drin und konnte an der Tatsache der Scheisse auf meiner Schulter auch nichts mehr ändern. Geekelt drehte ich den Fleck von mir weg, damit ich ihn nicht mehr sehen musste. Wenigstens hatte sie mir nicht auf den Kopf geschissen. Und da ich dachte, dass ich das Schlimmste jetzt hinter mir hatte, lief ich todesmutig los. Kani folgte mir gehetzt um sich blickend. Nach den anfänglich schweren Schritten barfuss durch feuchte Scheisse gewöhnte ich mich rasch daran. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich mir zurück in der Unterkunft als Erstes eine reinigende Dusche gönnen würde. Und zwar so reinigend, dass ich einfach alles bis zur Perfektion schrubben würde, auch meine Flip Flops, in die ich nachher mit dreckigen Füssen steigen musste. Babu hatte unter dem Torbogen auf uns gewartet und teilte uns nun mit, dass die Gebetszeremonie in 15 Minuten beginnen würde. Er würde uns einen Platz reservieren, und wir könnten uns den Tempel noch ein wenig genauer anschauen. Vorerst bewegten wir uns nicht vom Fleck. Wir standen mindestens fünf Minuten eng beisammen und beäugten die Fellhaufen um uns herum misstrauisch und mit wachsamen Augen. Immer wieder flitzten sie an uns vorbei, aber sie hielten Abstand. Sie schienen zu ahnen, dass wir sie nicht als Familienmitglieder akzeptierten. Und nicht unbedingt scharf darauf waren, sie näher kennen zu lernen. Nachdem wir so langsam Vertrauen gefasst hatten, bewegten wir uns im Zeitlupentempo vorwärts, ganz eng aneinander geklammert, Schritt für Schritt, meistens auf unsere Füsse blickend. Wir durchschritten das Tor, wo auf beiden Seiten Ratten lauerten, die immer wieder die Seiten wechselten und vor uns durchrannten. Die Dinger konnten auch echt hoch springen. Sie schienen miteinander zu spielen, oder vielleicht waren es auch ernste Rivalenkämpfe, aber immer wieder beobachteten wir Kabas, die sich gegenseitig jagten und ansprangen. Dann stellten sie sich auf ihre zwei Hinterbeine und stiessen sich gegenseitig mit ihren kurzen Vorderbeinchen weg. Uns ignorierten sie dabei völlig. Irgendwie sah das total niedlich aus. Wäre da nicht diese Tatsache, dass es sich dabei um Ratten handelte. Nun betete ich stattdessen inständig, dass ich nicht dazwischen geraten würde weil ich zur falschen Zeit am falschen Ort stand.


Ich entspannte mich ein wenig, als wir in den grossen Innenhof traten. Hier stand mehr Platz zur Verfügung, und die Ratten verteilten sich besser. Überall gab es Futterplätze mit verstreuten Maiskörner, und dort waren die grössten Ansammlungen an Ratten. Doch unsere Reise war noch nicht zu Ende. Babu war zurück gekommen und teilte uns mit, dass wir nur noch fünf Minuten hatten, und wir doch noch kurz den Korridor zu seiner Linken entlang gehen sollten. Er würde bei der Eingangstür zum Gebetszimmer warten. Er lief eilig voraus, mit den selbstsicheren Schritten eines Priesters, der in einem Haus voller Verwandten herumlief. Wir konnten kaum folgen, liefen wir immer noch dicht aneinander gedrängt vorsichtig auf jeden Schritt achtend hinterher. Irgendwann fragte ich mich, ob Babu das wohl als respektlos ansehen würde. Immerhin war das seine Familie, und wir verhielten uns so, als würden wir bei Berührung an Pest sterben. Doch ich glaube, er verstand, dass wir aus einer anderen Kultur kamen, in der Ratten keineswegs als heilige Tiere galten. Schliesslich hatte er die Meisten seiner Gäste (und das waren anscheinend über fünfhundert) hierher gebracht. Und ich bin sicher, dass 95% dieser ausländischen Touristen genauso reagiert haben wie Kani und ich. Bei der Tür angekommen schauderte ich. Um die Tür herum scharten sich nicht nur unterhalb Ratten, sondern auch oberhalb entlang des Türbalkens, sowie auf Klinke und dem seitlichen Türrahmen entlang. Tatsächlich mussten das so was wie Matrixratten sein, nur so konnte ich mir erklären, dass sie sich in der Senkrechte halten konnten. Ich benannte sie die Tür des Grauens. Niemals würde ich hier hindurch laufen! Doch genau hier, befahl Babu, sollten wir nachher hindurch in das Innere treten, und bevor wir protestieren konnten, verschwand er genau durch besagte Tür des Grauens.

ree
Garten mit Zaun des Grauens

Geschlagen drehten wir uns weg und blickten den Korridor entlang, der zum hinteren Teil des Tempels führte. Es war wieder enger, und beherbergte mehr Ratten. Wieder war ich es, die den ersten Schritt tun musste, und ich lief zögernd voraus. Als ich ungefähr einen Viertel des Weges hinter mir hatte, erblickte ich zu meiner Rechten schockiert etwas, was früher wohl ein Garten gewesen war. Das erdige Stück war durch einen eisernen Zaun abgetrennt vom Gang, doch von der Erde war nichts mehr zu sehen. Stattdessen war der Boden übersäht von haarigen Ratten, die auch den Zaun für sich eingenommen hatten und daran hochkletterten! Ich nannte besagte Zone Garten und Zaun des Grauens. Automatisch machte ich davon einen Schritt weg nach links. Da geschah es, eine Katastrophe apokalyptischen Ausmasses: eine Ratte missbrauchte meine Füsse als Abkürzung! Ich hatte sie nicht gesehen, aber deutlich gespürt. Kratzige, haarige, Pfoten mit Krallen schlitterten über meine Haut, feucht, kalt und schwer. Ich schrie auf und sprang zur Seite. «Shit!» Ich blickte um mich aber die Ratte war bereits verschwunden. Die Dinger waren wirklich verdammt schnell! «Scheisse verdammt nochmal», fluchte ich erneut, und realisierte erst jetzt, dass ich mich in einem Gotteshaus befand. Fluchen war hier wahrscheinlich nicht unbedingt erwünscht. «Scheisse», wiederholte ich, wie um zu zeigen, dass mir das gerade vollkommen schnuppe war. Vor Schock wie gelähmt stand ich da und bewegte mich nicht. Immer noch spürte ich die Stelle auf meinen Füssen pulsieren, auf die die Ratte getreten war. Ekel schoss in mir hoch wie bei einer explodierenden Tischbombe, und Tränen schossen mir in die Augen. Kani kam angerannt und schüttelte mich. «What happened Laura?», wollte sie schockiert wissen. Ich begann zu stampfen um die Ratten um uns herum daran zu erinnern, dass sie so etwas ja nicht noch einmal versuchen sollte. «A rat, there was a rat on my feet!!!», jammerte ich entsetzt. Kani brach in Gelächter aus, und ich stimmte mit ein, allerdings mit einem gequälten Gesichtsausdruck, halb weinend vor Ekel und halb lachend darüber, was gerade geschehen war. Plötzlich stiess sie mich weg, schrie auf, und begann wie Rumpelstilzchen um mich herum zu hüpfen. «A rat!», schrie sie hysterisch, und das Lachen war ihr augenblicklich vergangen. Jetzt war ich es, die in schallendes Gelächter ausbrach. Die Leute um uns herum blickten uns an als wären wir verrückt geworden. Mitten im Korridor hielten wir uns wieder zitternd umklammert, beide lachend und weinend. Es dauerte eine Weile bis wir uns beruhigt hatten, und die Einheimischen machten einen grossen Bogen um uns. Die Meisten konnten nicht anders als über unser Verhalten zu lachen, doch es gab auch einige die uns vorwurfsvoll anblickten. Doch selbst wenn ich gerne angemessener reagiert hätte, es ging nicht. Ich hatte meine Reaktion nicht kontrollieren können, aber jetzt im Nachhinein fühlte ich mich schlecht deswegen. Doch es dauerte nicht lange, da sah ich ein kleines, indisches Mädchen schreien und weinen, weil eine Ratte sie berührt hatte. Danach fühlte ich mich besser. Es ging also nicht nur uns so. Als eine Gruppe junger Männer uns passierte, schlossen wir uns ihnen an. Einer von ihnen erlaubte sich mit seinem Kumpel einen Spass und berührte ihn mit seinem Fuss, sodass der andere vor Schreck aufsprang und einen Schrei von sich gab. Also sogar die Jungs hatten Angst vor Ratten. War also keinen Grund, sich mies zu fühlen.

ree
Gebetskammer

Im Schutze der Männer erreichten wir die Tür unversehrt. Doch die Ratten waren immer noch da, und nach meinem kleinen Trauma von vorhin war es ausgeschlossen, dass ich da drunter durch laufen würde. Was, wenn eine Ratte von oben auf mich runter sprang? Das mit dem Fuss war schlimm genug gewesen, aber eine Ratte auf dem Kopf? Das wäre noch schlimmer, und ich könnte für nichts garantieren, echt nicht. Doch da stand plötzlich Babu und drängte uns, dass die Zeremonie gleich anfangen würde und wir kommen sollten. «Können wir nicht aussen rum?», bat ich, doch er behauptete steif und fest, da gäbe es keinen anderen Weg. Wie alle Inder hatte er so eine Art, die einen in einen wahnsinnigen Stress versetzen konnte und einen dazu brachte, unüberlegte Dinge zu tun, bloss um seine Ruhe wiederzubekommen. Er drängte und war ganz ungeduldig, und befahl uns in herrischem Ton jetzt zu folgen. Er redete auf uns ein bis ich einfach meine Augen schloss und durch die Tür schritt. Ich hörte Kani hinter mir schreien, doch ich kam auf der anderen Seite unversehrt wieder raus, ohne Ratte auf dem Kopf. Ich wollte gerade aufatmen, doch dann sah ich den engen, vollgestopften Raum vor mir. Ratten und Menschen versammelten sich um ein Geländer, in dessen Mitte der Priester stand. Die Prüfung war noch nicht vorüber. Babu verlangte von uns, dass wir zum anderen Ende des Raumes liefen, weil dort die Sicht besser sei, und so mussten wir uns nicht nur durch die Menschen drängen, sondern auch durch die zahlreichen Ratten in dem Raum. Ich glaube, ich stand irgendwie noch immer unter Schock, denn ich tat wie mir befohlen. Wie ein Roboter zwängte ich mich zwischen den Körpern hindurch. Am Ziel angekommen bemerkte ich, dass ich schweissgebadet war und noch immer zitterte. Jetzt sehnte ich mich noch stärker nach einer Dusche. Und ich schwor mir, alles in die Wäsche zu schmeissen. Alles war nun kontaminiert. Zitternd hielt ich meine Kamera hoch, um noch etwas von der Zeremonie festzuhalten. Doch die Aufnahmen waren so verwackelt, dass ich bald aufgab. Immer wieder schlichen sich Ratten zwischen meinen Beinen hindurch, doch glücklicherweise berührte mich keine mehr. Ich hätte sonst wahrscheinlich hysterisch und wild um mich schlagend den Raum gewaltsam verlassen.

ree
heiliges Wasser

Während der Zeremonie tauchten immer mal wieder Ratten in der Mitte auf und tranken vom heiligen Wasser, welches der Priester mitgebracht hatte und während der Zeremonie von seiner Gottheit Karni Mata segnen liess. Am Ende verteilte er es den Gläubigen und spritzte es ihnen ins Gesicht. Auch ich bekam etwas ab, weil ich mich nicht schnell genug aus der Gefahrenzone hatte retten können. Ich hätte kotzen können. Doch ich riss mich zusammen. Der Schock führte irgendwie dazu, dass ich abgestumpft war. Selbst als wir endlich zum Auto zurückkehrten, bemerkte ich nicht einmal mehr die feuchte Nässe des Bodens. Erst sitzend, zurück im Auto, sackten meine Schultern nach unten und ich entspannte mich zusehends. Und schwor mir an diesem Abend, den zweiten Rattentempel zu meiden, der anscheinend fast zehnmal so vielen Ratten Unterschlupf bot.

ree
touristischer, zweiter Rattentempel

Natürlich hielt ich mein Versprechen nicht ein. Aber ich brauchte einige Tage, um die Erlebnisse im ersten Tempel zu verdauen. Als die Gruppe beschloss, zum zweiten Tempel zu gehen, da wandte ich ein, dass ich nicht reingehen würde. Ich würde es mir bloss von aussen ansehen. Aber natürlich hatte ich die Sturheit und Überredungskunst der Inder wieder mal unterschätzt. Die Nichte Babus begleitete uns, und sie liess kein Nein gelten. Wir mussten mit ihr rein. Hier wurden wir von den Ratten bereits am Eingang ausserhalb des Tempels in Empfang genommen. Sie rannten bereits da rum, wo wir unsere Schuhe zurück liessen. Und ich dachte bloss bei mir, dass ich sie heute wohl erneut mit Seife reinigen würde. Doch Kani und ich waren nun abgehärtet, und der Besuch dieses Tempels war nicht mehr so schlimm. Er war zwar dreckiger und voller, und es hatte wie versprochen mehr Ratten, aber keine kam uns zu nahe, und wir waren noch vorsichtiger als letztes Mal. Und dieses Mal bekamen wir sogar eine der sehr seltenen (es gab insgesamt anscheinend bloss sechs davon in den zwei Tempeln) weissen Ratten zu Gesicht. In Indien galt das als ein gutes Omen. Nach dem traumatischen letzten Besuch konnte ich ein wenig Glück für die nächsten Tage durchaus gebrauchen!

ree
Auch indische Touristen finden ihren Weg hierher: Und haben immer mal noch Zeit für ein Selfie mit den Ratten...
ree
Eine weisse Ratte zu sehen gilt in Indien als ein gutes Omen!

Und man siehe und staune: am nächsten Tag, meinem letzten Tag in Deshnoke, eröffnete uns Babu, dass die Kamele der Tante seines Kamelpflegers Babys bekommen hätten. Der Entschluss war schnell gefällt, eben dieser Tante, ihren Kamele und deren Babys einen Besuch abzustatten. Was für mich wie eine glückliche Fügung des Schicksals begonnen hatte, endete in einem Alptraum. Aber dazu mehr in meinem nächsten Blog!


PS: Wen die Fotos kalt lassen, der kann sich ruhig eines der Videos aus dem Tempel zu Gemüte führen. Poporn nicht vergessen, Unterhaltung ist garantiert! Gruselfaktor auch!

Commentaires


  • White Facebook Icon
About Me

I am a 29 year old traveller. While I also love to Photograph and write down my thoughts just as plain and simple as they are, I decided to share this with who ever might be interested in reading about my adventures. Some might be in german, other in english, because I love to write in both languages. All that is left to say now: I hope you´ll enjoy:)

 

Join my mailing list

© 2018 by restlesstraveller. Proudly created with Wix.com

bottom of page